Eine historische Wahl
Im Januar 2023 hat es 15 Runden gedauert, bis ein neuer Speaker of the House gewählt wurde. Wir nehmen das gleich zum Anlass, um einige aktuelle Vorgänge in der US-Politik zu beschreiben. Seit 100 Jahren hatte es nämlich zuvor keinen 2. Wahldurchgang bei dieser Art von Wahl mehr gegeben. Alleine deswegen ist das Thema schon erwähnenswert.
Die Ausgangslage
Um einen Speaker zu wählen, braucht man mehr als 50% der Stimmen.
Eigentlich wäre das nach der Wahl 2022 kein Problem für die Republikaner gewesen, wie man hier sieht:
Sie hätten ihren Kandidaten Kevin McCarthy direkt ins Amt wählen können.
Wenn eine Partei aber wie hier nur eine knappe Mehrheit hat, dann werden interne Kämpfe zum großen Risiko für die Wahl. Eine kleine Gruppe von Abgeordneten erhält dann eine relativ große Macht. Und genau eine solche kleine Gruppe von ca. 20 republikanischen Abgeordneten hat das bemerkt und ausgenutzt.
Diese Gruppe stammt aus dem radikalen Flügel der Partei, also aus dem Dunstkreis von Präsident Nummer 45.
Sie haben sich zusammengetan und konnten so bei der Speaker-Wahl den Ausschlag geben.
WIe genau? Sie haben einfach für andere Republikaner als den Spitzenkandidaten McCarthy gestimmt. Dadurch konnte niemand über 50% erreichen:
Die "Rebellen"
Nennen wir diese Gruppe einmal die Rebellen “R”. R nutzt seine Stellung strategisch aus, um sich gegen den Rest der eigenen Partei zu stellen.
Warum? Weil man so vom zukünftigen Speaker möglichst viele Zugeständnisse für seine politischen Vorstellungen fordern kann. Man sagt: Wenn wir dich wählen, dann wollen wir dafür danach von dir A, B und C! Das können Forderungen sein, die eigentlich in der Mitte der Partei so nicht umgesetzt würden, wie zum Beispiel:
- Plätze in wichtigen Gremien
- Einfluss auf die Gesetzterminierung
- Videomaterial zum 6. Januar 2021
R kann zum Beispiel Plätze in bestimmten wichtigen Gremien zugesichert bekommen. Oder Zusagen erhalten, dass bestimmte Gesetzentwürfe priorisiert werden. Oder wie wir im März 2023 gesehen haben, musste er das gesamte Videomaterial von den Vorfällen 6. Januar 2021 im Kongress veröffentlichen. Das war für die radikal-republikanischen Medien perfektes Marketing. Auf den entsprechenden Kanälen wurden beliebige Zusammenschnitte veröffentlicht, die zeigen sollen, dass der Aufstand komplett harmlos ablief.
Der politische Vorteil der Rebellen
R hat aber noch einen politischen Vorteil. Ich habe vorhin gesagt, zum Sieg braucht man über 50% der Stimmen.
Und zwar aller abgegebenen Stimmen. Nur die Abgeordneten, die “present and voting” sind, zählen zur Gesamtzahl. Würden nur 100 Abgeordnete an der Wahl teilnehmen, dann wären 51 Stimmen genug für den Sieg. Für R heißt das, selbst nachdem man lauter Zugeständnisse bekommen hat, muss man keine positive Stimme für den Speakerkandidaten abgeben. Für die eigenen, radikalen Wähler, kann man das Gesicht wahren, indem man nicht für den gemäßigten Kandidaten stimmt, sondern einfach gar keine Stimme abgibt. Die Abgeordneten R zeigen ihren Wählern also, dass sie ganz tolle Rebellen sind, mit denen man maximal ein “neutral” aushandeln kann. Natürlich aber auf Kosten der gesamten Partei.
Das ist dann am Schluss passiert. Noch 6 Rebellen waren nach den Verhandlungen und Zugeständnissen übrig. Diese verhalfen McCarthy zum Sieg, indem sie einfach “present” gerufen haben. Das heißt soviel wie “ich bin zwar anwesend, aber nehme nicht an der Wahl teil”. Ohne die 6 Teilnehmer sank dann die Gesamtzahl auf 428. Dadurch sank die Schwelle zur Mehrheit auf 215, und die konnte von den Republikanern dann endlich erreicht werden:
Die Rolle der Demokraten
Man könnte sich jetzt fragen, warum haben nicht ein paar Demokraten für McCarthy oder einen gemäßigteren Republikaner gestimmt, damit er ins Amt kommt, bevor er bei seiner eigenen Partei radikale Zugeständnisse machen muss?
Die andere Partei greift in so einen internen Kampf aus mehreren Gründen nicht ein:
Einmal sieht man hier wieder die Polarisierung. Für die andere Partei zu stimmen ist ein absolutes no-go. Wer da aus der Reihe tanzt, der riskiert seine Karriere. Gerade weil McCarthy seinen Wahlkampf offensiv gegen die Demokraten geführt hat, wäre es seltsam, sich jetzt mit ihnen zu verbünden. Er hatte sich schon in die Ecke manövriert, in der ein Kompromiss nicht einfach so möglich war.
Beide Parteien würden also eine Zusammenarbeit nur als wirklich allerletzte Option sehen.
Wichtig ist, dass durch diese Lage der radikale Flügel überproportional viel Einfluss erhielt. Sie konnten relativ einfach ihre eigene Partei geißelnehmen. Und am Ende war es für die Republikanische Partei anscheinend attraktiver, den eigenen Radikalen mehr Einfluss zu geben, als mit den Demokraten zu verhandeln. Und die hatten auch kein großes Interesse an einer Zusammenarbeit. Denn so konnte man der Öffentlichkeit wunderbar zeigen, dass der Gegner nicht einmal imstande ist, seinen eigenen Speaker zu wählen. Wie soll so jemand eine regierungsfähige Partei sein? Man kann den Gegner also mit Blick in die Zukunft medial schön auflaufen lassen.
Man sieht hier auch, dass die Parteien der USA sehr große Sammelbecken sind, da es nur zwei davon gibt, die sehr viele Wählergruppen ansprechen müssen.
Insgesamt sehen wir, dass die Republikaner gerade wirklich vor großen, internen Problemen stehen. Der Ausgang, wie sich die Partei zukünftig aufstellen wird, ist ungewiss. Auch wenn der Druck auf die Republikaner dieses Mal wohl nicht groß genug war, um eine überparteiliche Zusammenarbeit zu erzeugen, so hat das Szenario zumindest einen Funken Hoffnung entstehen lassen.
Unter gewissen Umständen könnten Kooperationen wieder möglich sein. Ein Blick in manche Einzelstaaten zeigt auch, dass es möglich ist, wenn der politische Wille da ist. Und auch Umfragen in der Bevölkerung deuten darauf hin, dass die überparteiliche Zusammenarbeit in der Mitte mehrheitlich positiv gesehen wird. Aber am Ende sind es eben oft nur die radikalen Wähler, die politisch besonders aktiv und laut sind und auch Wahlkämpfe finanzieren.
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