Der U.S. Supreme Court fällt Entscheidung zur geteilten Jury
In meiner Videoreihe zum Common Law in den USA habe ich die Rolle der Jury im US-Recht erklärt. Im Fall Ramos v. Louisiana hat der U.S. Supreme Court im April 2020 eine wegweisendes Urteil gefällt, das genau dieses Thema behandelt.
Vorab muss dazu klar sein, dass Strafrecht in den USA eine Sache der Einzelstaaten ist. Es gibt also in allen Staaten eigene Regelungen und Gesetze – das ist ein großer Unterschied zu Kanada, welches auch aus der englischen Rechtstradition stammt. Trotzdem waren sich bisher fast alle Staaten darin einig, dass Angeklagte in Strafprozessen nur verurteilt werden dürfen, wenn die trial jury einstimmig für einen Schuldspruch abstimmt. Das bedeutet, dass eine Mehrheit alleine nicht genügt. Nur eine Gegenstimme eines Jurymitglieds reicht somit aus, um die Verurteilung zu verhindern.
Jedoch bildeten dabei zwei Staaten die Ausnahme: Louisiana und Oregon. Dort wurde verurteilt, wenn die Mehrheit der Geschworenen dies befürwortete, unabhängig davon, ob eine Minderheit dagegen war.
2019 hat Louisiana diese Regelung bereits selbstständig gesetzlich geändert und sich dem Rest der Vereinigten Staaten angepasst. Doch Oregon stand bisher noch aus. Durch das aktuelle Urteil des Obersten Gerichtshofs der USA wird sich das nun ändern. Die Richter haben entschieden, dass überall im Land eine Verurteilung nur mit einer einstimmigen Jury möglich sein darf. Diese Entscheidung leiten sie aus der US-Verfassung ab.
Präzedenzfall für die gesamten Vereinigten Staaten
Gleichzeitig ist das Urteil auch eine sehr gute Gelegenheit, um einen weiteren Punkt aus meiner Videoreihe hervorzuheben: Es ist die Rolle der precedents, der Präzedenzfälle. Als oberstes Gericht ist der U.S. Supreme Court die Instanz, an deren Urteile sich alle Gerichte des Landes zu halten haben – egal ob im Einzelstaat oder auf Bundesebene. Normalerweise haben sich Richter in den USA and die früheren Entscheidungen übergeordneter Gerichte zu halten. Selbst ein Supreme Court Richter ist meist darum bemüht, sich in die Geschichte seiner Vorgänger einzuordnen und für Kontinuität der Entscheidungen zu sorgen.
Doch diesmal hat das Gericht eine seiner eigenen, früheren Entscheidungen widerlegt und damit überschrieben: Den Fall Apodaca v. Oregon von 1972. Und wenn ein Gericht tatsächlich eine Kehrtwende macht, dann gilt ab diesem Zeitpunkt der neue Präzedenzfall als maßgebend. Der Supreme Court hat also die Möglichkeit, in seltenen Fällen seine eigenen Präzedenzfälle zu ersetzen; dies gilt dann für alle untergeordneten Gerichte – was in diesem Fall alle Gerichte in den Vereinigten Staaten sind.